Genossenschaft

Transformation im Fokus: So tickt Raoul Stöckle

Raoul Stöckle will Mobility nicht radikal verändern, sondern mit Bedacht weiterentwickeln. Beim Treffen in Zürich erklärt der zukünftige Verwaltungsratspräsident, wie er die Genossenschaft auf die Anforderungen von morgen vorbereiten möchte – und warum bei Mobility selbst über die Farbe «Rot» diskutiert werden darf.

Raoul Stöckle

Raoul Stöckle erinnert sich noch gut an die Ausschreibung von Mobility – oder vor allem an ein Wort darin: «Es wurde explizit nach einer Person mit ‹Transformationskompetenz› gesucht», erzählt der 51-Jährige, als wir uns in einem Café in der Zürcher Europaallee zum Gespräch treffen. Transformationskompetenz. Manche lesen diesen Begriff hier vielleicht zum ersten Mal, doch nicht so Raoul Stöckle. «Erfahrener Stratege, Serial Entrepreneur und Transformations-Sherpa» – so beschreibt er sich auf seinem LinkedIn-Profil. «Ich beschäftige mich beruflich damit, Unternehmen beim Wandel zu begleiten», sagt Raoul, der seit Anbeginn Genossenschafter bei Mobility ist, sich seit 2023 im Verwaltungsrat engagiert und im Mai das Präsidium des Gremiums übernimmt. Als Gründer von Bond Mobility, dem Pionier im stationslosen E-Bike-Sharing, oder als ehemaliger Verwaltungsratspräsident bei Sharely, einer Mietplattform für Gegenstände aller Art, weiss Raoul zudem: Wer teilt, hat mehr.

Raoul Stöckle kennt es aus eigener Erfahrung: Gerade erfolgreiche Unternehmen tun sich oft schwer damit, sich zu hinterfragen. Für langfristigen Erfolg sei dies jedoch unverzichtbar. «So gibt es heute zum Beispiel ganz andere technische Möglichkeiten als noch vor zehn Jahren – und auch die Bedürfnisse der Kundschaft verändern sich laufend. Glücklicherweise hat das Mobility erkannt.» Gleichzeitig ist sich Raoul auch der stolzen Geschichte der Carsharing-Pionierin bewusst. Dank der herausragenden Arbeit in den vergangenen Jahren habe das Unternehmen nun die Chance, aus einer Position der Stärke heraus seine Transformation weiterzutreiben.

Experimente? Ja, aber mit Bedacht

Wer nun befürchtet, der neue Verwaltungsratspräsident möchte jeden Stein umdrehen und einen radikalen Wandel anstossen, darf beruhigt sein. Raoul will sich nicht in das operative Geschäft einmischen; das ist ja auch nicht seine Aufgabe. «Ich möchte meine Kolleginnen und Kollegen jedoch mit bewussten Impulsen herausfordern.» Die Ausgangslage ist für den künftigen VRP spannend: «Einerseits ist da das etablierte Geschäftsmodell, das bewahrt werden will – andererseits geht es darum, sich kontinuierlich zu erneuern.» Raoul Stöckle wünscht sich, dass sich die Genossenschaft künftig wieder stärker auf ihr Kerngeschäft fokussiert. «Mobility hat zuletzt viele coole Projekte lanciert und viel dabei gelernt.» Als Beispiele nennt er das eingestellte Ridepooling-Angebot i&any oder auch das Projekt V2X Suisse. Auch in Zukunft soll es Platz für Innovation und «Testballone» geben, aber: «Wir wollen mit Bedacht experimentieren und auch von anderen lernen.»

«Manchmal ist unser genossenschaftlich verankertes Modell vielleicht etwas träge, aber dafür langfristig sehr erfolgreich und breit abgestützt.»
Raoul Stöckle — Verwaltungsrat
Porträt Raoul Stöckle

Zur Person

Dr. Raoul Stöckle (51) hat an der University of Kent in England Materialwissenschaften studiert und an der ETH Zürich in Physik und Chemie promoviert. Der Serial Entrepreneur und Transformationscoach hat mehrere Unternehmen gegründet – darunter das E-Bike Sharing Bond Mobility, die Ökostrom-Handelsplattform Ecotricity oder die Äss-Bar, die sich gegen Lebensmittelverschwendung engagiert. Nebst seinen Mandaten als Unternehmer und Verwaltungsrat ist Raoul auch in Verbänden und in der Politik in seiner Wohnortsgemeinde Uster aktiv. In seiner Freizeit spielt der Familienvater gerne Badminton, Volleyball oder Unihockey. In die Turnhalle fährt er mit dem ÖV oder mit dem Velo: Sein eigenes Auto hat er 2024 nach 14 Jahren verkauft. Dieses wird bisher auch von seiner Frau und den beiden Teenager-Kindern nicht gross vermisst – dank nahen Mobility-Standorten.

Die Elektrifizierung ist anspruchsvoller als gedacht

Wie aber möchte Raoul Stöckle denn nun das Kerngeschäft von Mobility weiterentwickeln? Es gehe darum, Carsharing in die nächste Ära zu führen. Luft nach oben gebe es noch viel. «Wir wollen unsere Prozesse schlanker machen, in die Digitalisierung investieren, agiler werden – und vor allem eine noch breitere Abdeckung erreichen.» Ein weiteres grosses Thema ist der Antriebswandel. Raoul warnt jedoch davor, die Elektrifizierung «um jeden Preis» durchzudrücken. «Stattdessen sollten wir auch hier mit Bedacht vorgehen.» Tatsächlich ist es heute so, dass an Standorten, die sowohl über Elektro- als auch über Benzin-Autos verfügen, die Fahrzeuge mit herkömmlichem Antrieb häufig stärkere Nutzerzahlen aufweisen. Raoul schliesst daraus, dass viele noch Unsicherheiten haben bezüglich der E-Mobilität. «Sie fürchten etwa, dass es Probleme mit der Reichweite gibt.» Dass diese Ängste unbegründet sind, spiele keine Rolle. «Sie zeigen viel mehr, dass wir unsere Kundinnen und Kunden noch besser informieren und sensibilisieren müssen.» Ebenfalls nicht zu unterschätzen sei der Aufwand, der mit der Elektrifizierung der Flotte verbunden sei. «Wir mussten lernen, dass dieser Prozess länger dauert und aufwendiger ist, als wir es uns ursprünglich erhofft hatten.» Die Frage, ob ein Mobility-Auto elektrisch oder benzinbetrieben unterwegs ist, sei wichtig, in der nahen Zukunft aber nicht essenziell, findet Raoul Stöckle. «Viel wichtiger ist, dass die Menschen überhaupt Carsharing nutzen.» Denn ganz egal, ob Elektro, Benzin oder Diesel: Jedes Mobility-Auto, dass auf den Schweizer Strassen unterwegs ist, ersetzt im Schnitt über 18 private Fahrzeuge.

Sogar über das Mobility-Rot soll diskutiert werden

Was Raoul an seinem Mandat besonders schätzt, ist der rege Austausch mit den Delegierten im ganzen Land. Die Themen reichen dabei von Fragen wie «Braucht es Kindersitze in den Autos?» über die Elektrifizierung bis hin zur Farbe. Richtig gelesen: Sogar über das Mobility-Rot darf und soll diskutiert werden! Und ganz einfach sei die Antwort auf diese Frage nicht. «Die Farbe hat einen hohen Wiedererkennungswert», weiss Raoul. Mit klassischen Marketingmassnahmen sei eine derart starke Visibilität nicht zu erreichen. Auf der anderen Seite seien viele Kundinnen und Kunden gar nicht so erpicht darauf, auf der Strasse aufzufallen. «Kommt hinzu, dass rote Autos im Ein- und Verkauf in der Regel kostspieliger sind – und auch Karosserieschäden sind teurer.» Das Beispiel zeigt: Nicht immer sind die Antworten so eindeutig, wie es die Fragen zunächst vermuten lassen. Und deshalb dauert es manchmal auch etwas länger, bis eine Neuerung umgesetzt wird. Raoul Stöckle vergleicht es mit dem Föderalismus der Schweiz. «Manchmal ist unser genossenschaftlich verankertes Modell vielleicht etwas träge, aber dafür langfristig sehr erfolgreich und breit abgestützt.»

Wechsel im Verwaltungsrat

Der bisherige Präsident des Verwaltungsrats, Markus Mahler, gibt nach fünf Jahren seinen Austritt aus dem Gremium. Dies, weil er sich vermehrt wieder operativen Aufgaben und insbesondere der eigenen Firma widmen möchte. Per Delegiertenversammlung 2025 übernimmt Raoul Stöckle das Präsidium. Er ist 2023 in den Verwaltungsrat der Genossenschaft gewählt worden. Die Delegierten bestimmen an der Versammlung zudem ein weiteres neues VR-Mitglied, um das Gremium wieder komplett zu machen.